Zwei Verhaftungen


Am selben Abend wurde eine weitere Person verhaftet. Im Gegensatz zu Mohammed war die völlig arglos. Und Han-Chinese.
Ein Team aus drei Geheimpolizisten hatte vom System die Anweisung bekommen, in Gebäude Zwei in Nummer 15 Tongrong Straße eine Verhaftung vorzunehmen. Mit der Leitung der Operation war Wei Ba betraut, ein langjähriger Mitarbeiter des Geheimdienstes im Rang eines Gefreiten. Auf seinem Handy poppten die Daten des Arrestanten auf. Vom Rücksitz des Dienstwagens der Marke BAIC wies er den Fahrer an, die Adresse anzusteuern.
Wei war klar, dass es sich hier um keine gewöhnliche Verhaftung handelte. In der Xuefu Straße im Zentrum Ürümqis wohnten keine minderbemittelten Querulanten. Wer sich hier eine Wohnung leisten konnte, der gehörte zur Nomenklatura.
Der Geheimpolizist fragte sich schon und wiederholt, was einer aus der Schicht der Bonzen ausgefressen haben musste, damit man ihn aufs Revier zitierte. Den Grund dafür verriet ihm sein Handy nicht. Aber zumindest konnte er mit diversen Klicks während der Fahrt herausfinden, welche Position der zu Verhaftende einnahm. Und er staunte nicht schlecht: Sekretär des Wirtschaftsrates des Viertels Shuimougou.
Wei ließ während der Fahrt darüber sinnierend, was man dem Arrestanten wohl vorwerfen würde, die Fassaden der Häuser am Straßenrand an sich vorbeiziehen. Es musste Korruption sein.
Natürlich waren alle Kader korrupt. Warum denn auch nicht? Warum sollte sich jemand der Ochsentour unterwerfen, im System aufzusteigen, wenn er dann nicht bereit war, die Früchte seiner Mühen zu ernten? Nur falls einer es zu weit trieb, geradezu übertrieb, dann bekam er Probleme. Der Mann musste gehörig über die Stränge geschlagen haben.
Doch einen Apparatschik in dieser Position festzusetzen, war nicht eben einfach. Wenn er Probleme machte, konnte man ihn nicht einfach den Arm umdrehen, ihm Handschellen anlegen und ihn auf den Rücksitz verfrachten. Solche Respektlosigkeiten konnten schnell auf einen zurückfallen. Denn es war keineswegs sicher, dass der Mann endgültig weg vom Fenster war. Und wenn er das nicht war, dann konnte das ganz schnell auf einen selbst zurückschlagen. Da würden dann auch die kriecherischste Entschuldigung und ein saftiges Bestechungsgeld nichts mehr ausrichten können. Die Karriere: dann mit Sicherheit hinüber. Selbst wenn man nicht im Lager landete.
Geheimpolizist Ba beschwor sich immer wieder, höflich und zuvorkommend zu bleiben, egal was ihm Li Dandan an den Kopf würfe. Keinesfalls körperliche Gewalt anwenden. Was ihn in größte Verlegenheit gegenüber seinen Vorgesetzten brächte. Er müsste sich dann einen guten Grund einfallen lassen, warum die Festsetzung nicht erfolgt war. Einen Grund, den es so nicht gab. Denn wenn er angab, sie hätten Li Dandan nicht angetroffen, dann würde ihn sein Vorgesetzter erneut losschicken. Und das nicht ohne einen höhnischen Kommentar. Was hieß, dass er dem Dilemma nicht entkommen konnte. Das Navi meldete, dass sie das Ziel erreicht hatten. Der Kollege am Steuer hielt den Wagen vor einem luxuriösen Wohnkomplex an, an dessen Eingang ein Portier stand. Er musste mindestens 20 Stockwerke haben. Die gesamte Fassade war mit selbst tönenden Scheiben überzogen, die dafür sorgten, dass immer genau so viel Licht einfiel, dass Raumtemperatur und Raumklima konstant gehalten wurden. Und das ohne den Einsatz einer energiefressenden Klimaanlage, sprich, das Gebäude war nach den neusten Energiestandards ausgelegt. Was wiederum hieß, dass es kaum älter als ein Jahr sein konnte.
»Bist du dir sicher, dass wir hier richtig sind? Was ist das denn für ein Typ, den wir da einkassieren sollen?«
»Der ist Sekretär des Wirtschaftsrates von Shuimougou. Wir müssen verdammt vorsichtig sein! Wenn da was schiefgeht, dann fällt das auf uns zurück.«
Jetzt dämmerte den jungen Kollegen übergangslos, was da anlag. Einer setzte zu einer Erwiderung an, im gelang aber nur ein hoffnungsloses Grunzen.
»Ich mache mir schon die ganze Zeit Gedanken darüber, wie wir am besten an die Sache rangehen«, kam es schließlich von Wei. »Wir müssen ausgesucht höflich sein. Kein Wort in Richtung Verhaftung. Wir bitten ihn unverfänglich, uns zu begleiten. Behaupten, der Chef wolle ihn kurz sprechen. Machen auf Fahrdienst. Versichern ihm, dass wir ihn dann unverzüglich wieder zurückbringen.«
»Und wenn er sich nicht darauf einlässt?«
»Dann sind wir reichlich angeschissen! Dann gehen wir wieder!«
»Was machen wir dann?«
Wei Ba riss der Geduldsfaden.
»Woher soll ich das denn wissen?«, fuhr er seinen Kollegen an und stieg sich unmotiviert aus dem Wagen drückend aus.
Der Portier, der eben noch rauchend vor der Tür stand, hatte sich ins Innere des Gebäudes verzogen. Wie auch Mohammed bei seinem Aufgriff war ihm völlig klar, welcher Zunft die drei Typen in dem weißen Auto angehörten. Einem Gewerbe, mit dem er nichts zu tun haben wollte. So hatte er sich hinter seinem Tresen verschanzt, hoffend, dass der ihn vor den Männern in den billigen Anzügen in blassschwarz schützen würde.
»Li Dandan?«, fragte Wei knapp.
Der Portier nannte ihm überrascht die Wohnungsnummer. Schweigend fuhren die Geheimpolizisten im Aufzug in den 14. Stock. Trabten dann mutlos zur Loft 1429.
Ein Dienstmädchen öffnete ihnen die Tür, ohne dass sie hätten klingeln müssen. Bat sie, im Korridor einen Moment zu warten. Führte sie dann in den Salon. Li Dandan hatte es sich mit einem Glas Cognac auf dem Sofa gemütlich gemacht, forderte sie nicht auf, sich zu setzen.
»Was kann ich für euch tun?«
»Wir müssten Sie zur Klärung eines Sachverhalts bitten, uns auf die Stadtverwaltung zu begleiten.«
Wei Ba vermied tunlichst das Wort Revier.
»Und da kommt ihr extra vorbei, um mich abzuholen? Habt ihr schon mal was von der Erfindung von Skype gehört?«
Li Dandan hat schon einige Gläschen intus. Sonst wäre er wohl kaum zum Spaßen aufgelegt gewesen. Er lachte schallend über seinen eigenen Witz. Wei Ba und seine jungen Kollegen fanden den Joke nicht ganz so lustig, lächelten aber pflichtschuldig.
»Werter Herr, wir bedauern, Sie an Ihrem wohlverdienten Feierabend stören zu müssen. Es wird nicht lange dauern. Deswegen sind wir auch persönlich gekommen. Wir bringen Sie selbstverständlich nach dem kurzen Gespräch auch wieder zurück.«
Wieder trompetete Herr Dandan sein penetrantes Lachen: »Und ihr glaubt, ich setze mich zu euch in eure Rostlaube? Wahrscheinlich so ein klappriger BAIC? Da bin ich ja meines Lebens nicht mehr sicher!«
Wo er recht hatte, hatte er recht. Wei Ba fühlte sich so gar nicht wohl in seiner Haut. Er musste den Magnaten einfach irgendwie dazu bringen, ohne großes Aufsehen mitzukommen. Sonst hatte er ein noch größeres Problem.
»Werter Herr, es ist nicht weit! Sie werden umgehend wieder zurück sein. In Ihrem Zustand sollten Sie vielleicht nicht mehr fahren ...«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, bereute er es schon. Einem Genossen von solchem Kaliber unterstellt man nicht, dass er angetrunken sei. Doch das Schicksal blieb ihm gewogen. Sein Promillespiegel stimmte den Magnaten großmütig. Vielleicht war ihm auch nur langweilig.
»Mein kleiner Freund, natürlich kann ich noch fahren! Ich kann immer fahren! Aber weil du es bist, will ich mal nicht so sein.«
Er kippte den Rest seines Cognacs mit einem Zug in sich hinein. Rülpste ausgiebig und zog sich aus dem Sofa hoch. Was ihm wesentlich schwerer fiel, als er angenommen hatte.
Doch immer noch gut gelaunt tänzelte er in Richtung Wohnungstür. Dort fischte er sich eine leichte Jacke vom Haken. Die machte Zicken, ließ sich nicht ohne Weiteres abziehen. Beim dritten Versuch riss der Aufhänger. Li Dandan schenkte dem keine Beachtung und schlüpfte ungelenk hinein. Das Dienstmädchen stand schon in der geöffneten Tür.
Das mit dem »ist nicht weit«, war natürlich so nicht richtig. Auch wenn sie ihn wirklich in das Rathaus hätten bringen sollen, wäre es eine Fahrt von circa einer halben Stunde gewesen. Doch in Wirklichkeit lautete der Befehl, den Unternehmer in die neu errichtete Geheimdienstzentrale in der Zhongshan Straße in Changji zu bringen. Unter einer dreiviertel Stunde nicht zu machen.
Doch wieder war den drei Geheimpolizisten das Glück hold. Sobald er auf der Rückbank Platz genommen hatte, nickte Li Dandan ein.
Schwieriger war es, ihn dann aus dem Auto zu kriegen. Als sie vor der Geheimdienstzentrale hielten, schlummerte und schnarchte der Magnat immer noch friedlich. Wei öffnete vorsichtig die Hintertür des Wagens.
»Werter Herr, wir sind da!«
Der Schlafende schnarchte unverdrossen weiter. Wei wurde lauter. Doch es half nichts. Der Magnat schlief den Schlaf des Ungerechten. So musste ihn der Geheimpolizist wachrütteln. So richtig rütteln. Als der Schlaftrunkene endlich realisierte, was los war, endete die Glückssträhne der Beamten abrupt. Den Bruchteil einer Sekunde blickte er sie noch ungläubig an. Dann legte er los. So richtig. Brüllte, was seine Lungen hergaben.
»Ihr dreckigen Bastarde! Wo sind wir denn hier? Am Arsch der Welt! Nicht weit! Wollt ihr mich verarschen?«
»Aber werter Herr ...«
»Ihr beiden Pfeifen fahrt mich jetzt sofort wieder zurück! Ihr meint doch nicht im Ernst, dass ich da mit euch reingehe?«
»Werter Herr, wir sind wirklich untröstlich. Aber der Befehl kam von ganz oben!«
Nicht, dass Li Dandan irgendwelche Zweifel daran gehabt hätte. Er war jetzt wieder so nüchtern, dass er begriff, dass da was im Gange war. Etwas, das aus dem Ruder zu laufen drohte. Und genau deswegen brüllte er noch lauter.
»Wenn ihr nicht den Rest eures Lebens auf der Müllhalde Altmetall aus stinkendem Abfall klauben wollt, dann bringt ihr mich sofort zurück!«
Wei Ba und seinen jungen Kollegen standen die Schweißperlen auf der Stirn. So kurz vor dem Ziel und doch schien alles den Bach runterzugehen. Alle Versuche Li Dandan wieder herunterzubringen, liefen ins Leere. Der hocke auf der Rückbank und randalierte einfach weiter. Einen Teil seines Erfolges verdankte er der Tatsache, dass er die stärksten und voluminösesten Lungen weit und breit hatte.
Endlich kam Rettung. Aus dem Kommissariat kam Yong Chen, Polizeioberst der Antikorruptionsbehörde aus Peking. Und das in vollem Wichs.
Nicht, dass er es eilig gehabt hätte. Mit einem Blick die Situation erfassend, schritt er würdevoll durch das Tor des Kommissariats, schwenkte minimal in Richtung des weißen Dongfeng ein und zog die Hintertür auf.
Li Dandan verstummte sofort, warf dem Polizeioberst vor dem Wagen jedoch einen bitterbösen Blick zu. Der wandte sich dem Querulanten betont höflich zu: »Werter Herr, wirklich sehr freundlich von Ihnen, dass Sie so schnell für mich Zeit hatten. Ich habe nur ein paar klitzekleine Fragen an Sie. Folgen Sie mir bitte!«
Grummelnd schälte sich der Magnat aus den Wagen. Immer noch ganz die Höflichkeit in Person eskortierte Oberst Chen ihn in das Kommissariat. Dort musste der Unternehmer weder warten noch sich mit einem Plastikstuhl begnügen. Stattdessen setzte ihm die Sekretärin des Obersts ungefragt eine Tasse grünen Tee vor. Li ergriff die Tasse gierig. Verbrannte sich erst einmal ordentlich den Mund. War sich aber darüber im Klaren, dass er das Heißgetränk jetzt dringend brauchte, um seinem Alkoholspiegel etwas entgegenzusetzen. Sein Vernehmer, der sich, wenn gefragt, allenfalls als Gesprächspartner bezeichnet hätte, nahm ihm gegenüber Platz.
Trotz der gesellschaftlichen Stellung des Magnaten ließ es sich der Polizeioberst nicht nehmen, mit großer Geste eine Mappe aus dem Schreibtisch zu ziehen. Für den Blick hinein genehmigte er sich ein, zwei Minuten. Obwohl er alles in- und auswendig kannte, was sie beinhaltete. Dann rückte er sich kurz zurecht, räusperte sich und schaltete von seinem Dauerlächeln auf Ernst um.
»Etwas über eine Million Yuan war Ihnen also der Auftrag wert. Genauer gesagt 1130000 Yuan. Herr Dandan, ich muss konstatieren, dass Sie die Preise hier in der Provinz gut kennen. 1,1 Millionen hätte ich auch veranschlagt. Für einen Auftrag dieser Größe. Nicht zu viel und auch kein Almosen.«
Li Dandan schluckte. Wie konnte der Typ die genaue Summe kennen? Er hatte doch alles getan, um die Kohle so geräuschlos wie möglich zu transferieren. Noch dazu in mehreren Tranchen. Eine davon in einem Casino in Macao.
Um immer im richtigen Moment bei Kasse zu sein, hatte er bei verschiedensten Banken Unmengen von Bargeld gebunkert, auf das er dadurch unkontrollierten Zugriff zu haben meinte. Auch bei sich daheim bunkerte er im Gehäuse eines Kühlschranks dicke Geldbündel, um nie in die Verlegenheit zu kommen, in der Stunde der Wahrheit nicht bei Kasse zu sein.
»Werter Herr«, sagte er plötzlich völlig ernüchtert, »ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
Mit der Taktik, dass jemand im Moment der Konfrontation die Fakten nicht überzeugend würde untermauern können, war er schon immer gut gefahren. Denn kaum jemand ist darauf vorbereitet, von einem Moment auf den anderen eine lückenlose Beweiskette vorzulegen. Doch Oberst Chen konnte genau das und noch mehr.
»Ich weiß, dass Sie genau wissen, wovon ich spreche. Und ich werde es Ihnen Yuan für Yuan entwickeln,« erklärte ihm der Beamte der Antikorruptionsbehörde völlig emotionslos. Zu diesem Zweck legte er seinen Computer auf einen 60 Zoll-Bildschirm, der in die Wand seines Büros eingelassen war. Dem Verhörten stockte der Atem.
Auf dem Monitor erschien ein gestochen scharfes Bild seiner Wohnung. Die Perspektive ließ den Betrachter nicht im Zweifel. Es musste der riesige Flachbildschirm an der Wand seines Arbeitszimmers sein, der die Szene aufgenommen hatte.
Hinter dem Schreibtisch sah man Li Dandan, der einer Schublade Bündel von unbenutzten Dollars im Äquivalent von etwa 200000 Yuan entnahm und sie seinem Gegenüber anreichte. Der stapelte sie an der Schreibtischkante und zählte zufrieden mit. Auch das Gesicht des Gegenübers war in Hochauflösung deutlichst zu erkennen: Der Präsident des für die Vergabe von Bauaufträgen zuständigen Amtes: Barde Bambang. In der Hoch- und Tiefbaugeschäftswelt auch als »Triple B« bekannt.
Auch das leiseste Atmen der beiden Geschäftspartner, das Rascheln der Scheine, sogar das Abrollen der Bürostühle auf dem Laminatboden waren deutlich zu vernehmen. In super Stereo-Sourround-Qualität das Gespräch der beiden Honoratioren. Die Sensoren des Bildschirms, die eigentlich dazu dienten, die Wünsche des Betrachters dem von Lippen und Körper abzulesen, hatten jedes noch so unwichtig erscheinende Detail dokumentiert.
»Fünftausend ..., Fünftausend ..., fünftausend und last but not least noch mal fünftausend.«
»Danke, werter Herr, wirklich überaus zuvorkommend. Ich werde alle Maßnahmen in die Wege leiten, damit alles reibungslos klappt. Es wird keine Verzögerungen geben.«
Li Dandan quittierte die Worte des korrupten Beamten mit einem wohlwollenden Lächeln. Der hatte Schwierigkeiten, die verschiedenen Geldpakete so in den diversen Taschen seines Sakkos zu verstauen, dass sie bei einer falschen Bewegung nicht sichtbar würden.
Am Ende des Gesprächs erhoben sich beide Geschäftspartner und versicherten sich wortreich, wie glücklich sie doch seien, dass der Deal zu so einem profitablen Abschluss gekommen sei. Nicht fehlen durften natürlich gegenseitige Zusicherungen, wie sehr man die Integrität und die Zuverlässigkeit des anderen schätze, dass die beiderseitige Freundschaft auf Fundamenten basiere, die durch nichts zu erschüttern seien. Der Bauunternehmer war geplättet.
»Woher haben Sie die Aufnahmen? Wie sind Sie da rangekommen?«
»Das lassen Sie mal mein Problem sein.«
»Ich habe Zehntausende von Yuan bezahlt, um mein Büro gegenüber allen Angriffen von außen abzuschotten.«
»Die haben Sie bezahlt, damit Ihre Konkurrenten nichts von Ihren Deals mitkriegen. Den Augen der Partei und des Staates entgeht nichts!«
Unbändige Wut stieg in Li Dandan auf. Wozu bezahlte er die Dilettanten eigentlich, wenn seine geheimen Deals in hochauflösender Filmqualität dokumentiert wurden? Aber er wusste nur zu gut, dass sein Vernehmer nicht bluffte. Auch er hatte sich so gut im Griff, dass er jetzt nicht überreagierte. War Profi genug, um auch in einer eskalierenden Situation die Oberhand behalten zu können. Es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, die Rechtmäßigkeit des Überwachungsvideos in Zweifel zu ziehen. Staat und Partei durften das.
»Ich gebe zu, dass es ein ungewöhnlicher Vorgang ist, wenn ein Unternehmer einem Beamten der Stadtverwaltung 20000 Dollar in bar übergibt. Aber es handelte sich um einen persönlichen Privatkredit.«
»Für einen guten Freund«, fügte er nach einer etwas zu langen Pause hinzu.
Der Oberst aus Peking klickte mehrere Male auf seine Maus. Auf dem Bildschirm startete ein neues Video. Wieder waren die beiden Erzfreunde ins innige Gespräch vertieft zu sehen.
»Da, da ist er! Der Tiankang Expressway. Du weißt, hier staut sich der Verkehr zu jeder Tages- und Nachtzeit.« verkündete Triple B mit großer Geste.
»Das brauchst du mir nicht sagen! Das Ding sollte irgendwann mal der Supertunnel mit Schnellstraße werden. War es auch mal. Aber jetzt ist es ein Nadelöhr. Dazu eines, dass gewaltigst sinkt! Aber wird sich da wirklich was tun?«
»Davon kannst du ausgehen, mein Freund. In den letzten zwei Monaten haben sich dort über sechzehn schwere Verkehrsunfälle ereignet. Vier Personen kamen dabei zu Tode. Schlimmer noch: jedes mal war der Expressway für Stunden gesperrt! Tausende von Pendlern kamen zu spät zur Arbeit!«
Li Dandan gab sich interessiert, obwohl ihm das Bauvorhaben nicht sensationell anmutete.
»So einen Tunnel kann man im Allgemeinen recht konservativ kalkulieren. Große Unbekannte gibt es da nicht. Die Margen sind nicht schlecht, aber auch nicht sensationell.«
Triple B lachte dreckig.
»Du irrst dich mein Freund!«
»Und wärst du so nett, mich aufzuklären?«
»Die ursprüngliche Planung wird davon ausgehen, dass man den Tunnel einfach um zwei Fahrspuren erweitert. Während der Arbeiten stellt sich heraus, dass das nicht möglich ist. Grund: Wegen der dichten Bebauung wird zum richtigen Zeitpunkt mehr als deutlich, dass die Gefahr einer Absenkung imminent sein wird, wenn man der ursprünglichen Planung folgt. Und dann wird der Auftrag für dich erst interessant.«
Jetzt verstand Li Dandan.
»Ich biete zu einem Spottpreis an, der alle Konkurrenten unterbietet. Nur, damit ich im Geschäft bin.«
»Und dann ziehst du nach! Aufgrund der unvorhergesehenen Hindernisse stellst du satte Nachforderungen. Die wird dir niemand verweigern können. Denn eine Hauptverkehrsader kann man nicht einfach platzen lassen.«
Ab diesem Moment war Li Dandan mehr als interessiert gewesen. Vom Video in Hochauflösung mitgeschnitten. Jetzt blickte ihm der Polizeioberst aus Peking direkt in die Augen. Und das völlig emotionslos. Schnitt ihm gnadenlos das Wort ab, als er dazu ansetzte, weiter an seinem Lügengeflecht zu spinnen.
»Herr Dandan, wir wissen beide nur zu gut, über was wir hier sprechen. Es handelt sich um einen glasklaren Fall von Korruption und um nichts anderes. Denken Sie gar nicht daran, auch mich schmieren zu wollen.«
Er zeigte auf eine Überwachungskamera an der Decke.
»Alles, was Sie hier von sich geben, wird lückenlos dokumentiert. Und das in bester Videoqualität. Ich bin sicherlich der letzte, werter Herr, der Ihnen das erklären muss: Schon der Versuch ist strafbar!«
Jetzt hatte der Beamte der Antikorruptionsbehörde den großmäuligen Magnaten da, wo er ihn haben wollte. Li Dandan gab seinen Widerstand auf. Schwieg endlich, anstatt zu versuchen, sich mit neuen Schutzbehauptungen herauszureden.
»Den Expressway können Sie komplett vergessen. Da sind Sie draußen. Wie gesagt: komplett! Lassen Sie sich was einfallen, warum Sie sich sofort und für immer aus dem Projekt zurückziehen.«
Das Schnaufen des Bauunternehmers war mehr als vernehmlich.
»Herr Dandan, trotz allem sind Sie eine Stütze der Gesellschaft. Auch ich weiß um Ihre Verdienste um Staat und Partei. Unsere Behörde wird eine Strafzahlung festlegen, die Sie dann ohne jegliches Aufsehen und absolut geräuschlos entrichten. In Zukunft werden Sie sich an die Linie halten, die der Generalsekretär auf seiner Rede beim letzten Volkskongress vorgegeben hat: saubere Hände! Ohne Wenn und Aber!«
Li Dandan schoss der Gedanke durch den Kopf, aufzuspringen und dem Lackaffen vor ihm eine Tracht Prügel zu verabreichen. Dumm nur, dass der ihm wahrscheinlich körperlich überlegen war. In Anbetracht der Überwachungskamera an der Decke wohl eher ein Glücksfall.
So hüllte sich der Manager in wütendes Schweigen und sah seinem Gegenüber dabei zu, wie der leidenschaftslos auf seinem Tablet tippte. Doch eine Frage hatte er dann doch noch:
»Wer wird den Auftrag jetzt bekommen?«
Yong Chen blickte genervt von seinem Tablet auf.
»Geht's noch?«
Nach einer Pause fügte er ein »Sie können jetzt wirklich gehen!«, hinzu.

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Kaum hatte Li Dandan seine Freiheit und sein Handy wiedererlangt, wählte er die Nummer von Yin Jang, dem Leiter der Geheimdienstzelle in Shuimougou. Nach längerem Läuten hatte er den einflussreichen Geheimdienstler an der Strippe.
»Yin, was soll das?«
»Was soll was?«
»Deine Leute haben mich eben abgegriffen!«
»Du machst Witze!«
Doch Yin Jang hegte keinen Zweifel daran, dass dem nicht so war. Dafür klang die Entrüstung in der Stimme des Magnaten zu authentisch. Der zögerte nicht, die ganze Geschichte haarklein zu berichten. Sein Gesprächspartner fühlte sich reichlich unwohl. Denn er kassierte ein ordentliches Bestechungsgeld dafür, dass Herrn Dandan bei seinen Geschäften niemand in die Quere kam.
»Li, ich bitte dich tausendmal um Entschuldigung. Momentan ist mir nicht klar, was da schiefgelaufen ist. Nur, dass da etwas gewaltig in die Hose gegangen ist. Ich werde mich sofort darum kümmern!«