Ende einer wilden Ehe

Kapitel 5: Ende einer wilden Ehe

Ab dem 28.6.2065

 

… Waana ging es immer besser. Unser Sex wurde Tag für Tag ideenreicher, gymnastischer, süchtiger. Je näher der Moment rückte, in dem ich sie aus der Zone bringen musste, desto abhängiger wurde ich von den Stunden, die mir diese Frau, die meine Urenkelin hätte sein können, schenkte. Ich alter Sack war verliebt.

Der virtuelle Sex, den einem das Bio-Informatik-Interface schenkt, ist wirklich nicht schlecht. Es ist das Danach, das einen so allein lässt. Denn irgendwann kommt immer der Punkt, an dem man aus dem süßen Traum aussteigen muss. Und dann ist man so unendlich allein.

Ich wäre nicht Otto, wenn ich komplett den Verstand verloren hätte. Trotzdem zermarterte ich mir, verzweifelt einen Weg suchend, das Hirn, wie ich Waana behalten konnte. Ohne sie bei mir daheim wie ein Haustier zu halten.

Doch selbst wenn ich alle Hebel in Bewegung gesetzt hätte, nie wäre es mir gelungen, Waana hier in der grünen Zone legal zu machen.

Ich tat, was ich tun musste. Kaufte und stahl alles zusammen, was ich meiner großen Liebe mit auf den Weg geben würde, wenn ich sie aus der Zone herausbrachte. Zwei Rucksäcke hatte ich zu packen. Den großen, den ich bis zu unserer Trennung schleppen würde, und den kleinen, den sie dann noch mittragen konnte, wenn sie allein weiter musste. Jedes Teil, das ich einpackte, brach mir das Herz.

Den Tag, an dessen Abend wir aufbrechen würden, hatte ich mir freigehalten. Wir verbrachten ihn mit Fernsehen, Videospielen, kulinarischen Genüssen, ein paar Gläsern Wein und natürlich viel, viel Sex.

Gegen achtzehn Uhr war es dann so weit. Waana badete sich nochmal ausgiebig, ich besorgte derweil das Auto. Diesmal war es ein 1970er Dodge Challenger. Eine Riesenschüssel mit über sieben Litern Hubraum verteilt auf acht Zylinder. Ein geiles Auto, aber es war mir heute sowas von egal. Es sollte nur dazu dienen, Waana dort an den Stadtrand zu bringen, wo wir unauffällig in die Unterwelt hinabsteigen konnten.

Vor Jahren war eine Gruppe von draußen über einen stillgelegten Eisenbahntunnel in die Zone eingedrungen. Dazu hatten sie eine Wand aus Ziegelsteinen durchschlagen und mehrere Eisengitter durchsägt. Doch am Ende des Tunnels war kein Licht gewesen, sondern meine Einheit und ich. Wir hatten kurzen Prozess gemacht und die Kadaver der Körperverwertungsstelle überlassen.

Nach verrichteter Arbeit plagte mich meine Verdauung. Ich ging etwa hundertfünfzig Meter in den Tunnel zurück, um mich zu entleeren. Gerade, als ich dort ohne Hosen hockte, sah ich im schummrigen Licht diese Gestalt in einiger Entfernung, wie sie in einer Öffnung im Boden verschwand.

Der Typ musst unter dem Radar durchgetaucht sein. Sein Glück, dass ich mich wegen der heruntergelassenen Hose nicht schnell genug in Schussposition bringen konnte.

Nachdem ich mein Geschäft beendet hatte, konnte ich es mir nicht verkneifen, einen Blick auf das unscheinbare Loch im Boden zu werfen. Ein rechteckiger Schacht, den man auch von unten gut mit ein paar Brettern kaschieren konnte. Ich beschloss, dass mir der Weg nach draußen nochmal wichtig sein könnte und dass ich ihn für mich behalten würde. Ich sollte recht haben.

Logischerweise hatte die Instanz veranlasst, dass alle Zugangsmöglichkeiten zum Tunnel im Nachgang der Aktion dichtgemacht wurden. Nur eben das unscheinbare Loch war ihr entgangen.

Ein paar Tage später war ich zurückgekommen und hatte den Einstieg mit mehreren U-Profilen so verrammelt, dass man von draußen nicht mehr durchkam. Von innen käme ich aber noch durch, wenn ich denn müsste oder wollte.

Zurück in meiner Bude wartete Waana auf mich. Alles stand bereit. Die Rucksäcke, zwei Nachtsichtgeräte aus der Asservatenkammer, meine Knarre, Werkzeug und eine fette Brechstange. Und natürlich Amira.

Sobald ich die Wohnung betreten hatte, fing sie an, auf mich einzureden. Ob ich mich komplett ruinieren wolle? Ob mir klar sei, was passiere, wenn sie mich mit der Schlampe erwischten? Dass ich das Leben da draußen keine zwei Wochen überstehen würde! Ob ich mein jetziges Leben einfach so wegwerfen wolle?

Als es mir zu viel wurde, sperrte ich sie im Schlafzimmer ein. Zuerst brachte ich alles, was wir mitnehmen wollten, in den Dodge. Dann verstaute sich Waana wieder in der Aluminiumbox. Diesmal war es nicht ganz so schmerzhaft, denn ihr ging es viel besser. Mit Mühe wuchtete ich die Kiste in den Kofferraum des Boliden. Dort konnte ich die Verschlüsse öffnen, sodass Waana es sich ein bisschen gemütlicher machen konnte. Doch damit wir unentdeckt blieben, musste sie mit dem Kofferraum vorliebnehmen.

Der Dodge sprang nach wenigen Umdrehungen des Anlassers an und der Motor begann zu wummern. Ausnahmsweise gab ich mal vorsichtig Gas. Ich wollte ja keinesfalls auffallen.

Eine gute halbe Stunde später kamen wir am Tunnel an. Ich parkte den Dodge unter Bäumen, damit eventuelle Drohnen kein allzu leichtes Spiel hatten.

Die Sonne war untergegangen, hier am Rand der grünen Zone war es ziemlich finster. Gut für uns. Grillen zirpten, ansonsten herrschte Stille. Ich stülpte mir ein Nachtsichtgerät über und öffnete den Kofferraum. Waana kletterte heraus. Wir bepackten uns und stapften los. Auch Waana trug ein Nachtsichtgerät.

Der ehemalige Eisenbahntunnel wurde jetzt durch eine Ziegelwand versperrt. Um gewisse Kontrollfunktionen noch ausüben zu können, hatte man eine Tür mit verbaut. Die Überwachungskamera darüber setzte ich mit einem gezielten Schuss außer Gefecht. Der Brechstange gab die Tür fast widerstandslos nach. Nachdem wir sie hinter uns zugezogen hatten, umgab uns totale Dunkelheit.

Zweifellos würde die »Instanz« den Ausfall der Kamera registrieren. Aber gerade derart exponierte Geräte versagten allzu oft. Sofern nicht weitere Sensoren anschlugen, würde man zu gegebener Zeit einfach einen Reparaturtrupp vorbeischicken. Das war das Zeitfenster, dass mir blieb, um wieder in die Zone zurückzukehren.

Da die Nachtsichtgeräte mit Infrarotstrahlern arbeiteten, konnten wir die Umrisse aller möglichen Hindernisse erkennen, die sich uns im Tunnel in den Weg stellen würden.

Taschenlampen zu verwenden, wagte ich nicht. Zu groß das Risiko, dass auch noch im Tunnel Kameras verbaut waren.

Wir wanderten in Richtung des Einstiegslochs. Das war noch die leichte Übung, denn bis dorthin kannte ich den Weg.

Mittels Ratsche, Verlängerung und siebzehner Nuss drehte ich die Schrauben auf, welche die U-Profile über dem Einstiegsloch fixierten. Der Geruch, der uns aus dem Loch entgegenkam, war ekelerregend. Ein eindeutiges Indiz dafür, dass in dem Schacht, der uns erwartete, organisches Material vor sich hinfaulte.

An Nasenklemmen hatte ich nicht gedacht. Folglich mussten wir uns in den Gestank hinablassen. Der Schacht hatte sicherlich irgendwann der Belüftung oder Entwässerung gedient. Da er kaum mehr als eineinhalb Meter hoch war, mussten wir uns ordentlich bücken, um uns nicht den Schädel einzurennen. Immer wieder blieb ich mit dem Rucksack irgendwo hängen.

Auch stolperte ich dauernd über Müll, der auf dem Boden lag. Je nach Material hatte die Wärmebildkamera Schwierigkeiten, die Umrisse deutlich abzubilden. Irgendwann wurde es mir zu dumm und ich zog die Taschenlampe aus meinem Gürtel.

In ihrem Licht erkannte man den Müll und die anderen Verunreinigungen im Tunnel in einer Qualität, die man in der Form gar nicht gewollt hätte. Zumindest wurde die Frage, warum es hier so stank, damit hinreichend geklärt. Auch gelang es einem, seine Schritte besser zu setzen.

Noch immer wussten wir nicht, ob wir auf diesem Weg wirklich nach draußen kommen würden. Alles war möglich. Insgeheim hoffte ich, dass wir irgendwann auf ein unüberwindliches Hindernis stoßen würden. Doch dem war nicht so. Nach gefühlten Stunden sah ich Licht am Ende des Tunnels. Nicht, dass die Sonne schon aufgegangen wäre, aber man konnte deutlich einen Lichtschein ausmachen.

Dann war es so weit, wir traten ins Freie. Der Mond erleuchtete die sternenklare Nacht, wodurch wir ganz gut ausmachen konnten, wo wir uns befanden. Der Ort glich einer Müllhalde. In früheren Zeiten musste der Abwasserkanal eine Unmenge Unrat mit sich geführt haben. Durch die Müllschicht spross spärlicher Bewuchs. So was gab es nicht in der Zone, wir mussten draußen sein. Alles in mir sträubte sich gegen das, was jetzt kam. Ich stand regungslos da und glotzte in das Halbdunkel.

»Otto, du weißt, ich werde dich nie vergessen«, flüsterte Waana. »Du hast mich dem Totenreich entrissen. Du bist ein guter Kerl!«

Ich drückte sie ganz fest an mich. Saugte alles von dem Wesen ein, das ich so verzweifelt liebgewonnen hatte. Wollte sie nicht mehr loslassen. Ich hätte es wahrscheinlich auch nicht gemacht, wenn nicht plötzlich Bewegung in die laue Mondnacht gekommen wäre. Zuerst hatte es nur geraschelt, dann aber konnte man die Hundemeute, die auf uns zustürmte, unmissverständlich ausmachen. Endlich gab ich Waana frei.

So spät, dass ich den ersten Köter mit dem Kolben meines Gewehrs ausknocken musste. Glücklicherweise traf ich ins Schwarze, sodass man das Knacken seines Kiefers deutlich vernahm und er winselnd den Rückzug antrat. Was mir Zeit gab, das Gewehr an meine Schulter hochzureißen und meinen Finger am Abzug zu platzieren.

Den zweiten Köter tötete ich im Sprung, sein Maul war keine Armlänge von mir entfernt, als ich abdrückte. Im Moment des Todes schlug er vor mir auf dem Boden auf.

Doch die Meute stürmte weiter auf uns zu. Jetzt rächte sich, dass ich Waana nicht ihre Pistole ausgehändigt hatte. Saudumm, denn sie stand nahezu wehrlos hinter mir. Konnte den ein oder anderen Stein aufheben und ihn der Meute entgegen werfen. Mehr nicht.

In enger Kadenz musste ich eine Töle nach der anderen ausschalten. Obwohl schon einige Kadaver blutend vor uns lagen, ließ die Meute nicht von uns ab. Ich schoss ohne Pause weiter. Mein Magazin fasste achtzehn Schuss. Elf davon hatte ich schon abgefeuert. Was tun, wenn mir die Munition ausging? An einen Magazinwechsel war nicht zu denken.

Waana war es gelungen, ein rostiges Metallrohr abzugreifen. Mit dem sicherte sie jetzt meine linke Flanke. So mancher Köter verlor durch das flink geführte Rohr einen oder mehrere Zähne. Und trollte sich jaulend.

Sieben, sechs, fünf. Gleich würde mein Magazin leer sein. Die Meute stürmte jetzt zwar nicht mehr so massiert auf uns ein, doch ich wagte es nicht, sie nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen.

»Waana, schnapp dir die Pistole. Rechte Außentasche am Rucksack!«

Vier, drei! Jetzt hatte ich noch zwei Kugeln im Magazin. Vor mir weiter ein Rudel kläffender, die Zähne fletschender Köter. Ich spürte, wie sich Waana am Rucksack zu schaffen machte, während ich meine letzten zwei Kugeln versenkte. Nun hieß es umgreifen und das Gewehr zum Schlagstock zu degradieren. Doch ich kam nicht mehr zum ersten Hieb.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs. Waana feuerte ohne Unterlass. Mähte den Rest des Rudels mit gezielten Schüssen nieder. Der letzte Köter, eben noch die Zähne fletschend, sank verendend in sich zusammen.